Entgeltfortzahlung: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht immer unerschütterlicher Beweis
Die Fakten:
- Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat hohen Beweiswert
- Arbeitgeber können bei ernsthaften Zweifeln den Beweiswert erschüttern
- „passgenaue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ kann ernsthafte Zweifel begründen
Sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wegen Krankheit arbeitsunfähig und können ihre Arbeit nicht erbringen, haben sie grundsätzlich einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für sechs Wochen (§ 3 EFZG). Die Arbeitsunfähigkeit muss durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG) werden. Diese Bescheinigung hat einen hohen Beweiswert für die Arbeitsunfähigkeit.
Den Beweiswert können Arbeitgeber nur erschüttern, wenn sie ernsthafte Zweifel an der Erkrankung vortragen und im Bestreitensfall beweisen.
Ernsthafte Zweifel am Vorliegen einer Erkrankung können beispielsweise im Falle einer Kündigung vorliegen, wenn eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am Folgetag der Eigenkündigung des Arbeitnehmers ausgestellt wird und passgenau die noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdeckt (BAG vom 8.9.2021- 5 AZR 149/21).
Das gilt auch dann, wenn eine Erst- und mehrere Folgebescheinigungen eingereicht werden, wie das Arbeitsgericht Neumünster am 23.9.2022 (1 Ca 20b/22) entschieden hat.
In einem solchen Fall muss die betroffene Arbeitnehmerin oder der betroffene Arbeitnehmer konkrete Tatsachen darlegen und damit eine tatsächlich bestehende Erkrankung beweisen. Gelingt das, hat der Arbeitgeber das Entgelt fortzuzahlen. Gelingt das nicht, ist der Arbeitgeber von der Entgeltfortzahlung befreit.
Praxishinweis
Erhebt ein Arbeitgeber Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit – weil die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen passgenau die Zeit nach einer Kündigung abdecken –, hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer bei einer Zahlungsklage vorzutragen, welche Krankheiten vorgelegen, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. Als Zeugin oder Zeuge können von der Schweigepflicht entbundene Ärztinnen oder Ärzte benannt werden.